Henrik Ibsen

PEER GYNT

am Theater Hof

Premiere am 7. Oktober 2022

Regie: Lydia Bunk
Ausstattung: Christoph Gehre

mit Oliver Hildebrand als Peer Gynt, Alrun Herbing, Anja Stange, Julia Leinweber, Cornelia Wöß, Jörn Bregenzer, Dominique Bals, Peter Kampschulte, Igor Schwab

 Fotos: H. Dietz






(...) Diesmal brilliert Oliver Hildebrandt als eine Art verdorbener Peter Pan, als Junge, der nicht erwachsen werden will und kann und darum allen Versuchungen erliegt, die das unbegreifliche Dasein, die unüberschaubare Welt ihm in den Weg stellen; vor allem der Versuchung, „sich selbst genug“ zu sein statt mühsam erst „er selbst“ zu werden. Sein Weg führt „außen herum“ um alle moralischen Widerstände und mitmenschlichen Bewährungsproben; kein Weg, der zugleich ‚das Ziel‘ Peers wäre. Regisseurin Lydia Bunk, selbst fantasiebegabt und einfallsreich, mutig und konsequent, lässt den Protagonisten wie eine Personifikation der Unreife einen Weg im Kreis, in Schleifen gehen.Weil Peer in Bunks langer, indes fast immer kurzweiliger Inszenierung ein Kind bleibt, reicht es, dass in ihr sein Ich all die Nagelproben, all das Scheitern nicht real, sondern ,nur‘ in einem Als-ob erlebt und erleidet, in seinem Innern, als Serie toller Phantasmagorien. Auf zwanghaft modernisierende Mätzchen vollständig verzichtend, verlieh die Regisseurin der Produktion eine eigene Stimmigkeit, eine des epochenlosen Mythos und Mysterienspiels, des archetypischen Märchens und der folkloristischen Sage, eine der Sehnsuchtsträume und Angsträume, der trügerischen Hoffnung. (...) Hildebrandts Peer – kein weiterer Preußen-Prinz; aber „König“ will er schon werden, „Kaiser“ gar: „der Kaiser der Welt“. Kronen trägt er wiederholt – aus Stroh, aus Draht –, im grandios schwarzen Schlussbild senkt sich eine Krone sogar riesenhaft auf ihn herab, die ihn „nach oben“ zieht (wohin, lässt die Regisseurin reizvoll offen). (...) „Was ich kann, kann sonst keiner“, behauptet Peer, und Hildebrandt darf es hier auch von sich behaupten. In Peers Hochgebirgsheimat, vor einer bekletterbaren hohen, rohen Holzfassade, gibt der Künstler den abgerissenen armen Bauernsohn, der seiner Mutter, statt Strenge, nachgiebige Liebe abtrotzt. Er gibt den Womanizer, der Bräute und kesse Mädels flachlegt und dann sitzen lässt. Er gibt das „versoffene Schwein“ mit dem benebelten Kopf tief in der Senkgrube. Er gibt den Eindringling im Reich der Trolle, über deren Leiber halb eklig, halb wie Zuckerschaum grüne Wülste, Wölbungen und Würste wuchern und deren König ihm Angebote macht, die er nicht annehmen kann.In einem nordafrikanischen Bankettsaal gibt er dröhnend einen brachialkolonialistischen Waffenschieber wie einen Napoleon im Cäsarenwahn, vor dem sich Speichellecker buchstäblich zum Affen machen (...) Er gibt, in antiseptisch reiner Leere, den Insassen einer psychiatrischen Klinik, in der, seit „die Vernunft aus der Haut gefahren ist“, die Irren das Regiment führen und Jörn Bregenzer eine Teppichrolle reanimiert. Hildebrandt gibt den „Verdammten“ auf der Flucht vor seinen Verhängnissen, die ihn als allegorische Wesen heimsuchen, als Großer Krummer und Knopfgießer, als „magerer“ Tod im knallroten Lackmantel. Auf oft fast unbebauter Bühne (Szenerie und Kostüme: Christoph Gehre) ist dies ein Theater aus vielen, vielen starken Bildern.

Hochfranken Feuilleton / 8.10.22